Pierre Bi: «Nachhaltigkeit ist nicht mehr sexy, jetzt beginnt die Arbeit»
Nachhaltiges Investieren steht unter massivem politischem Druck. Was einst als zukunftsweisend galt, dem haftet heute das Prädikat «Woke Capitalism» an – mit tiefgreifenden Folgen. «Doch gerade in Zeiten der Desillusionierung zeigt sich, welche Strategien Substanz haben», schreibt Pierre Bi vom Cleantech-Startup Enshift in seinem Beitrag für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Seit der Wiederwahl von Präsident Donald Trump hat sich an den Finanzmärkten eine tektonische Verschiebung vollzogen. ESG – Environmental, Social, Governance – das einstige Modewort der Investorenwelt, wird plötzlich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit behandelt. Was früher ein Garant für Kapitalzufluss und Applaus war, gilt heute als «Woke Capitalism» – ein Schimpfwort in der neuen wirtschaftspolitischen Realität der USA.
Die Auswirkungen dieses Umschwungs sind deutlich zu spüren. Banken, die sich noch vor wenigen Jahren feierlich zu nachhaltigen Investment-Frameworks bekannten, ziehen sich nun still und leise zurück. Engagements werden eingefroren, grüne Fonds liquidiert oder umetikettiert. Hinter verschlossenen Türen wird offen diskutiert, ob sich ESG überhaupt noch lohnt – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch reputativ. Die Angst, ins politische Kreuzfeuer zu geraten, lähmt ganze Gremien.
«Als Unternehmer im Nachhaltigkeitsbereich fühlt man sich wie ein Überbleibsel einer gescheiterten Revolution.»
Selbst Ikonen wie Elon Musk, der einst mit der Mission antrat, die Welt von fossiler Energie zu befreien, reiben sich kaum an der offen anti-nachhaltigen Agenda aus Washington. Die leisen Töne, die man von ihm zur Klimakrise hört, sprechen Bände.
Einstige Hoffnungsträger sind heute Sorgenkinder
In dieser Atmosphäre fühlt man sich als Unternehmer im Nachhaltigkeitsbereich wie ein Überbleibsel einer gescheiterten Revolution. Die Bedingungen haben sich verschärft – und sie werden in den nächsten drei Jahren voraussichtlich noch brutaler. Erste Beben deuten auf den wirtschaftlichen Abschwung im Sektor hin: Northvolt, einst Hoffnungsträger der europäischen Batteriewirtschaft, steht vor dem Abgrund. Bei Climeworks, dem Vorzeigestartup der Carbon-Capture-Bewegung, drohen Massenentlassungen. Das einst grüne Narrativ ist wirtschaftlich unter Druck geraten – und emotional entzaubert.
«Einige grüne Technologien stehen an der Schwelle zur wirtschaftlichen Überlegenheit – gerade wegen der Energiekrise.»
Und doch wäre es ein Fehler, sich von diesem Gegenwind entmutigen zu lassen. Denn gerade in Zeiten der Desillusionierung zeigt sich, was Substanz hat. Einige grüne Technologien stehen an der Schwelle zur wirtschaftlichen Überlegenheit – nicht trotz, sondern wegen der globalen Energiekrise. Der Solar- und Windboom, gekoppelt mit Fortschritten in Speichertechnologien, beginnt fossile Energieträger in den Schatten zu stellen.
Mehr als nur eine moralische Geste
Zudem sind neue Megatrends wie Künstliche Intelligenz eng mit ESG verwoben – wenn auch indirekt. Die Rechenzentren der Zukunft benötigen gigantische Mengen Strom, was den Ausbau günstiger erneuerbarer Energiequellen von einem Umwelt- zu einem Standortfaktor macht. Nachhaltigkeit wird hier zur ökonomischen Notwendigkeit, nicht zur moralischen Geste.
«Wer jetzt nicht aufgibt, baut nicht auf Sand – sondern auf Felsen.»
Und nicht überall regiert Trumpismus. Europa, viele asiatische Staaten und insbesondere einige Schwellenländer setzen ihren ESG-Kurs konsequent fort. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung wächst. Die Pionierarbeit der letzten Dekade hat bleibende Spuren hinterlassen.
Steiniger Weg
Das Fazit ist klar: Die ESG-Blase mag geplatzt sein – doch darunter zeigt sich erstmals ein belastbares Fundament. Der Weg in den nächsten Jahren wird steinig, illusionslos und hart. Aber genau in solchen Zeiten entstehen die Unternehmen, die später Geschichte schreiben. Wer jetzt nicht aufgibt, sondern seine Strategie der Realität anpasst, baut nicht auf Sand – sondern auf Felsen.
Pierre Bi ist Gründer und CEO von Enshift, einem Cleantech-Startup aus Baar.